Im Ziel – mit Hindernissen

Cabo de São Vicente in Portugal – auf diesen Moment hatte ich mich wochenlang gefreut. Am Sonntagnachmittag, dem 28.09., war es endlich so weit: Nach über 7.000 Kilometern bikepackend durch Europa tauchte am Horizont der Leuchtturm auf – samt der bei deutschen Tourist:innen beliebten Imbissbude „Letzte Bratwurst vor Amerika“. Der südwestlichste Punkt Europas, umspült vom rauen Atlantik, war erreicht. Meine Reise hatte am 10.08. begonnen, am nordöstlichsten Punkt: im norwegischen Grense Jakobselv, direkt an der russischen Grenze, an der Barentssee.

Grense Jakobselv – 100 Meter von Russland entfernt, bewacht von norwegischen Militärdienstleistenden.

Wochenlang hatte ich gescherzt, dass ich vom Glück verfolgt sei – so viel Schönes und Überraschendes war mir widerfahren. Ich war ohne ernsthafte Probleme bis nach Spanien gekommen. Doch 550 Kilometer und vier Tage vor dem Ziel in Córdoba hat es mich dann doch erwischt: Corona.

COVID positiv im spanischen Córdoba.

An Weiterfahren war nicht zu denken. Gliederschmerzen, Schüttelfrost und andere Grippesymptome zwangen mich zu einer zweitägigen Zwangspause. Auch danach war es eigentlich nicht besonders klug, wieder aufs Rad zu steigen – auf eine verkürzte und vereinfachte Route über Sevilla.

Dem Arzt hatte ich versprochen, den Puls unter 120 zu halten und auf meinen Körper zu hören. Doch die letzten Etappen hatten es noch einmal in sich. Der Abschlusstag mit seinen 108 Kilometern war geprägt von heftigem Gegenwind und Regenschauern. Es dauerte den ganzen Tag, bis das erlösende Ziel endlich auftauchte. Und trotzdem blieb mir das Glück treu: Ich bekam tatsächlich die allerletzte Bratwurst des Tages – vor Amerika. Vielleicht bin ich ja wirklich vom Glück verfolgt.

Die (wirklich) letzte Wurst des Tages mit dem Budenbesitzer (seit 29 Jahren betreibt er den Imbiss)

Man mag es kaum glauben: Für mich, als ehemaligen Radprofi und erfahrenen Bikepacker, war dies die längste Radtour meines Lebens – und mein bislang größtes Europa-Abenteuer. Voller Begegnungen, Geschichten und Eindrücke.

Denn ich wollte nicht nur Rad fahren, sondern auch erfahren, was Europa bewegt – diesem Kontinent auf den Zahn fühlen.

Geschafft.

Im Ziel – Cabo de São Vincente

Mit einem dichten Stimmungsbild Europas in Form gesammelter People-of-Europe-Interviews geht es nun zurück nach Hause. 7.800 Kilometer sind gefahren, 14 Länder durchquert, knapp sieben intensive Wochen liegen hinter mir.

Mein persönliches Fazit zum Schluss?

Ich habe gemerkt, wie ich auf den letzten Kilometern immer langsamer wurde – nicht, weil mir die Kraft ausging, sondern weil ich den letzten Abschnitt noch einmal ganz bewusst genießen wollte. Irgendwo zwischen Melancholie, tiefer Freude und großer Dankbarkeit.

Am 1. März nächsten Jahres erscheint mein Buch zur Tour: „Fahrrad, Freiheit, Europa“.

Jetzt freue ich mich aufs Schreiben, auf viele anstehende Vorträge in ganz Deutschland – und auf den Schnitt meines Kurzfilms.

Ab 01.03.26 im Handel. Hier auf meiner Homepage vorbestellbar.

Was bleibt zum Kontinent in einer ersten Reflexion festzuhalten?

Für die meisten Menschen, denen ich auf meiner Reise begegnet bin, ist Europa vor allem mit der Reisefreiheit und der freien Wahl des Arbeitsplatzes innerhalb der Union verbunden – erst danach folgen andere Aspekte. Wird diese Freiheit in der ersten Krise eingeschränkt, verliert Europa massiv an Vertrauen.

An die eigentliche Idee Europas – durch gegenseitige Verflechtung und die Abgabe nationaler Kompetenzen an eine größere Gemeinschaft Frieden zu ermöglichen und zu sichern, basierend auf gleichen Rechten für alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft – denkt kaum jemand. Und das in einer Zeit, in der Nationalismus wieder salonfähig zu werden scheint. Ich bezweifle stark, dass globale Herausforderungen durch Kleinstaaterei und Abschottung von einzelnen Nationen gelöst werden können – das ist eine Sackgasse.

Was würde helfen?

Eine Vision für die Zukunft – zum Beispiel eine weitergehende Demokratisierung der Union, bei der unsere Wahl der Abgeordneten letztlich auch Einfluss auf die Besetzung der Kommission hat und diese nicht von den Regierungschefs hinter verschlossenen Türen bestimmt wird. Und vieles mehr.